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19 May 2024, open the window number 3
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MoKo-Adventskalender
Hey! not yet!
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Window nº 2
Wurzele der große Zwerg und das verschwundene Rezept
von Markus Kohler
  
Wurzele war verzweifelt. Mit den Händen auf dem Rücken verschränkt und gesenktem Haupt lief er in der Zwergenküche auf und ab. „Jetzt wird es mit meinem Beinamen ‚der große Zwerg‘ wohl vorbei sein“, dachte er traurig. Wurzele bekam diesen Zweitnamen, weil er einem Riesen, der im Märchenland schon fast jeden bestohlen hatte, einen Teil seiner Diebesbeute abgeluchst hatte. Aber das ist eine andere Geschichte. Schon am frühen Morgen war Wurzele, noch bevor die anderen Zwerge aufgestanden waren, in die Küche geeilt, weil er den Teig für die ersten Weihnachtsplätzchen herstellen wollte. In fünf Wochen sollte das Weihnachtsfest gefeiert werden und seine Brüder, die anderen Zwerge, freuten sich wie im jeden Jahr auf die berühmten Honigtaler, die Wurzele so gekonnt zubereiten konnte.  Als Wurzele jedoch das Regal durchsuchte auf dem er alle Zwergenrezepte aufbewahrte, konnte er die Pergamentrolle mit den Zutaten für die Honigtaler nicht finden. Er räumte alle Gefäße ab, weil er vermutete, die Rolle mit dem hübschen, roten Zierband könnte dahinter gerutscht sein. Er fand zwar die Anweisungen für die Zimtsternchen, die Apfelküchlein und die Vanillestangerl, von dem Rezept für die Honigtaler fehlte jedoch jede Spur. Im Hintergrund hörte er bereits, wie sich seine Brüder aus ihren Betten erhoben und sicherlich würden sie gleich hier in der Zwergen-Wohn-Küche erscheinen, um zu frühstücken.  „Oh je“, erschrak Wurzele, „das Frühstück habe ich auch ganz vergessen.“  Da stand auch schon Hagebutterich, sein ältester Bruder, in der Tür und schnüffelte in die Luft. „Na nu“, sagte dieser, „ich rieche gar keine Pfannenkuchen und auch keinen Hagebuttentee. Gibt es heute denn kein Frühstück?“ Er sah Wurzele verwundert an.  Unser großer Zwerg wurde unter diesem Blick noch kleiner, als er ohnehin schon war. „Nu…nun“, begann er zu stottern. Er schluckte zweimal kräftig, dann brach es aus ihm heraus: „Jemand hat das Rezept für die Honigtaler gestohlen. Ich wollte heute Morgen ganz früh schon den Teig anrühren, aber ich kann das Rezept nirgends finden.“  Inzwischen waren auch die anderen fünf Brüder in der Küche erschienen und sahen sich, als sie von dem Diebstahl hörten, verdutzt an. „Dann lass uns alle gemeinsam nochmal danach suchen“, schlug Hagebutterich vor und die anderen stimmten zu. Sie räumten das Regal mit all seinen Tiegeln und Gefäßen ab, rückten selbst den schweren Küchenschrank zur Seite, suchten unter den Bänken, Stühlen und Tischen. Doch es war nichts zu finden.  Lupius, Wurzeles zweitältester Bruder, winkte nach einer Stunde missmutig ab und warf seinem kleinsten Bruder böse Blicke zu. „Ach, großer Zwerg“, sagte er spöttisch, „du bist für das Aufbewahren der Zwergenrezepte zuständig. Du hast nicht genügend aufgepasst und jetzt ist das schönste Plätzchenrezept weg.“ Er schüttelte energisch seinen Kopf. „Du bist also doch nicht so ein großer Zwerg, du bist und bleibst Wurzele.“  Wurzeles Lippen begannen zu zittern, so als ob er gleich weinen müsste.  „Jetzt mal der Reihe nach“, warf Hagebutterich ein. „Wann hast du denn das Rezept zuletzt gesehen?“, fragte er Wurzele in ruhigem Ton.  „Na, vor etwa einem Jahr, als ich das letzte Mal die Honigtaler gemacht habe. Dann habe ich die Pergamentrolle wieder zusammengerollt, das rote Bändchen darum gewickelt und es zu den anderen Rollen auf das Regal gelegt.“  Hagebutterich nickte und rieb sich dabei durch seinen langen weißen Bart. „Lasst uns erst einmal zusammen das Frühstück machen. Mit einem vollen Magen kann ich besser nachdenken.“ Alle zusammen stellten sie nun Pfannkuchen her und gossen den Hagebuttentee auf. Im Handumdrehen stand das komplette Frühstück auf dem Tisch und alle langten kräftig zu.  Nur Wurzele war der Appetit vergangen. Er stützte seinen Kopf auf beide Hände und schaute traurig auf den leeren Teller vor sich.  
„Wir wollen heute in den Unterwald. Dort waren wir schon so lange nicht mehr und ich denke wir sollten dort der Höhle am Fluss mal wieder einen Besuch abstatten. Vielleicht finden wir wieder eine Edelsteinader“, meinte Hagebutterich.  Die anderen stimmten freudig zu, Wurzele jedoch schüttelte den Kopf: „Ich bleibe hier. Ich suche alles nochmal ganz gründlich ab.“  Lupius grinste ihn hämisch an. Alle erhoben sich und verließen den Zwergenbau. Wurzele war ein wenig von Hagebutterich enttäuscht, hatte dieser doch gemeint, mit einem vollen Bauch würde ihm etwas einfallen. Natürlich glaubte Wurzele, dass es dabei um das Auffinden der Rezeptrolle ging und nicht um die Planung des heutigen Arbeitseinsatzes. Nachdenklich räumte er das Geschirr zusammen und machte sich an den Abwasch. Seine Gedanken flogen zurück zu dem Novembertag vor einem Jahr, als er das letzte Mal das Rezept für die Honigtaler in der Hand gehalten hatte. So sehr er sich aber auch bemühte, die Vorkommnisse in seinem Kopf zu wiederholen, es fiel ihm nichts Außergewöhnliches ein. Als Wurzele die Küche aufgeräumt hatte zog er seine Winterjacke an und begab sich vor die Baumhöhle, die das Zuhause der Zwergenbrüder war. Er wollte ein wenig durch die frische Luft spazieren, vielleicht fiel ihm dabei die Lösung des Problems ein.  Kaum war er um den Stamm der alten Eiche herumgegangen, hörte er ein Krächzen und Flügelschlagen. Schnell verkroch sich Wurzele hinter einem herabgefallenen Zweig und beobachtete, wie sich Robrax, der Rabe von Hexe Drusila dem Zwergenbau näherte. Vorsichtig sah sich der schwarze Vogel nach links und rechts um, dann schlich er in die Zwergenhöhle. Ganz leise und ohne das geringste Geräusch zu machen, folgte ihm Wurzele. „Oh, Hexenkrächz“, hörte Wurzele Robrax von weitem schon murren, „wie mich Drusila doch nervt. Letztes Jahr sollte ich ihr unbedingt das Rezept für die Honigtaler besorgen, in diesem Jahr sollen es die Apfelküchlein sein. Vielleicht sollte ich gleich alle Zwergenrezepte mitnehmen, damit sie endlich Ruhe gibt.“  Wurzele schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. Dahin war also das Rezept verschwunden. Was sollte er nun tun? Die Hexe Drusila galt als böse und arglistig und Wurzele würde sich nie trauen, einfach in ihr Haus zu gehen und das Honigtaler-Rezept zurückzufordern. Robrax kletterte bereits auf das Regal und wühlte mit seinem Schnabel zwischen den Pergamentrollen. Wurzele drückte sich ganz eng an die Wand und sah dem Vogel bei seiner Tat zu. Plötzlich hatte der Zwerg die rettende Idee. Wurzele nahm seine Sommerjacke vom Haken an der Garderobe, an der er gerade stand, und stürzte Robrax entgegen. Dieser erschrak sich so, dass er aus dem Regal fiel, direkt in die Jacke, die Wurzele in seinen ausgebreiteten Händen darunter hielt. Schnell verschnürte der Zwerg die Jacke mit dem Vogel zu einem Paket und zog den Raben in die Mitte der Küche.  „So, so“, sagte Wurzele, „du und deine feine Drusila, ihr seid also die Übeltäter. Ihr wolltet unser Weihnachtsfest kaputtmachen.“  Zuerst zappelte Robrax wie wild in seinem Gefängnis, doch schon bald ließen seine Kräfte nach und er begann zu wimmern. „Ach bitte, bitte, lass mich frei. Die Hexe wird mich fürchterlich bestrafen. Schon einmal hat sie mich für einen Monat lang in einen Goldfisch verwandelt und ich kann dir sagen, das ist wirklich kein Vergnügen.“  Wurzele legte nachdenklich seine Stirn in Falten, da sah er wie sich die beiden Krallen von Robrax durch die Jacke bohrten. Schnell nahm der Zwerg eine Rolle mit Zwirn, die er in der Küche sonst für die Zubereitung von Weinblätterrouladen benötigte und wickelte die Beine von Robrax zusammen. „Was machst du da?“, krächzte Robrax empört.  Wurzele lachte vor sich hin. „Wir beide holen jetzt das Rezept für die Honigtaler zurück.“ Er löste den Knoten aus der Jacke und der Rabe kam zitternd und mit wackeligen Beinen zum Stehen.  „Oh nein, oh nein“, jammerte Robrax.  „Oh ja, oh ja“, entgegnete Wurzele. Als sie die Zwergenhöhle verlassen hatten, versuchte Robrax zu entkommen, in dem er seine Flügel ausbereitete und sich in die Luft erheben wollte, doch Wurzele hielt den Zwirn, mit dem die Beine des Vogels gefesselt waren, fest in beiden Händen. Der Rabe sah 
schließlich ein, dass ein Fluchtversuch sinnlos war und flatterte missmutig Richtung Hexenhaus.  Kurz bevor die beiden es erreicht hatten versteckten sie sich im Unterholz und spähten aus, ob Drusila zu Hause war.  „Die Luft scheint rein zu sein“, bemerkte schließlich Robrax, „sie wollte heute ihre Schwester besuchen und ist wohl noch nicht zurück.“  Wurzele nickte bedächtig und langsam und vorsichtig näherten sie sich dem Hexenhaus. „So“, meinte der Zwerg, „ich bleibe hier vor der Tür stehen, halte deine Fesseln fest und du gehst ins Haus und holst das Rezept, verstanden?“  Robrax ließ den Kopf sinken und flüsterte fast unhörbar: „Hoffentlich kann mich dabei kein anderer sehen. Mein Ruf wäre dahin.“  „Na ja“, lachte Wurzele, „bei mir ist dein Ruf eh schon hin.“  Gesenkten Hauptes betrat der Rabe das Hexenhaus und Wurzele ließ so viel Zwirn von der Rolle nach, bis der Faden sich wieder anspannte und er neue Schnur nachgeben musste. Auf einmal spürte er nur ein kurzes Rucken, dann bemerkte er wie der Zwirn in seinen Händen zu Boden glitt. „Oh nein“, durchfuhr es Wurzele, „Robrax hat sich befreit.“ Ganz vorsichtig und mit leicht zitternden Knien begab sich unser ‚großer Zwerg‘ in das Hexenhaus hinein. Sofort bemerkte er die eigenartigen Gerüche, die dort herrschten. Ängstlich schaute er nach links und rechts und ging langsam geradeaus. Da hatte er auch schon die Hexenküche erreicht. Ein sehr großer Kessel stand in der Mitte des Raumes unter dem ein kleines Feuer brannte. Ringsumher hingen Kräuterbündel und getrocknete Tierkadaver von der Decke. Wurzele bekam einen mächtigen Schreck, als Robrax plötzlich unter einem Tisch hervorstürzte und auf den Zwerg losstürmte.  „So jetzt bin ich der Stärkere. Drusila wird sich über deinen Besuch freuen. Ich werde dich da oben in den Vogelkäfig stecken.“ Der Rabe deutete mit dem Schnabel auf einen großen Vogelbauer, der direkt neben dem Kessel von der Decke hing. Wurzele hatte sich bei dem Angriff von Robrax so erschrocken, dass er gegen den Kessel prallte und die darin gluckernde Flüssigkeit verspritzt wurde. Ihn traf zum Glück kein einziger Tropfen, doch der Rabe zuckte plötzlich zusammen.  „Oh nein, das nicht“, flehte er. Aber es war bereits zu spät. Er verwandelte sich zuerst in eine Dampfwolke und als sich diese lichtete stand Robrax mit rosa, lila und grün gefärbten Federn vor ihm.  Wurzele war zuerst verblüfft, doch dann brach er in schallendes Gelächter aus und zeigte immer wieder mit dem Finger auf den gefärbten Vogel. „Robrax, der Papagei“, prustete er laut und musste sich bald vor Lachen den Bauch halten. „Und jetzt gib mir das Rezept für die Honigtaler“, forderte er und streckte die Hand aus.  „Das wird Ärger geben, wenn Drusila nach Hause kommt“, jammerte Robrax vor sich hin. Er deutete mit dem Schnabel auf eine Kommode und sagte dabei: „Da drin sind die Rezepte.“  Wurzele ließ den Raben nicht aus den Augen als er das Schränkchen öffnete. Und wirklich, hier drin lagen fein säuberlich aneinander gereiht Rezeptrollen über Rezeptrollen. Die Honigtaler fand Wurzele auf Grund der roten Schleife sofort und klemmte sie sich unter den Arm. Doch dann griff er nochmals wahllos zu und schnappte sich so viele Pergamentrollen wie er tragen konnte. Robrax saß beschämt in einer Ecke, versuchte sein Gefieder zu ordnen mit dessen neuer Farbe er ganz und gar nicht einverstanden war und Wurzele verließ frohen Mutes das Hexenhaus.  Nur wenig später war der Zwerg in der Zwergen-Wohn-Küche angelangt und breitete seine „Schätze“ vor sich aus. Als er sämtliche Rezepte gesichtet hatte, war sich Wurzele sicher, dieses Weihnachten würde das schönste von allen Weihnachten werden. Der Heilige Abend kam. Der kleine Baum in der Küche war mit Zimtsternchen, Kerzen und Edelsteinen geschmückt. Aus dem Ofen krochen Düfte nach einem Wacholderbraten und auf dem Tisch standen all die leckeren Plätzchen bereit, die zu keinem Weihnachtsfest fehlen durften. Natürlich auch die Honigtaler.  
Als die Zwerge das erste Käuzchen rufen hörten setzten sich alle an den großen Tisch und erzählten sich die Abenteuer aus den letzten vergangen Monaten. Bald schon brachte Wurzele das Weihnachtsmahl herbei und alle ließen es sich gut gehen. „Das war das beste Weihnachtsessen, das wir jemals hatten.“ Hagebutterich klopfte Wurzele anerkennend auf die Schulter. „Du bist jetzt nicht mehr der große Zwerg.“ Wurzele zuckte unmerklich zusammen, doch dann sah er das Lächeln im Gesicht seines Bruders. „Du bist jetzt der riesengroße Zwerg.“  Alle lachten und klatschten und ließen Wurzele hochleben, nur Lupius hielt sich mit seinem Beifall zurück. Doch dann befiel auch ihn die schöne, festliche Stimmung und im ganzen Märchenreich beneidete man die Zwerge, die so ein harmonisches und glückliches Fest feiern konnten.
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Come on! what are you waiting?!!
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Window nº 1
Von Galax Acheronian kommt ein Ausmalbild aus folgendem Buch https://www.moko-verlag.de/schuette,-johannes--die-abenteuer-des-julius-grosztat.php
Markus Kohler vom MoKo-Verlag
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2 Wurzele der große Zwerg und das verschwundene Rezept
von Markus Kohler

Wurzele war verzweifelt. Mit den Händen auf dem Rücken verschränkt und gesenktem Haupt lief er in der Zwergenküche auf und ab. „Jetzt wird es mit meinem Beinamen ‚der große Zwerg‘ wohl vorbei sein“, dachte er traurig. Wurzele bekam diesen Zweitnamen, weil er einem Riesen, der im Märchenland schon fast jeden bestohlen hatte, einen Teil seiner Diebesbeute abgeluchst hatte. Aber das ist eine andere Geschichte. Schon am frühen Morgen war Wurzele, noch bevor die anderen Zwerge aufgestanden waren, in die Küche geeilt, weil er den Teig für die ersten Weihnachtsplätzchen herstellen wollte. In fünf Wochen sollte das Weihnachtsfest gefeiert werden und seine Brüder, die anderen Zwerge, freuten sich wie im jeden Jahr auf die berühmten Honigtaler, die Wurzele so gekonnt zubereiten konnte. Als Wurzele jedoch das Regal durchsuchte auf dem er alle Zwergenrezepte aufbewahrte, konnte er die Pergamentrolle mit den Zutaten für die Honigtaler nicht finden. Er räumte alle Gefäße ab, weil er vermutete, die Rolle mit dem hübschen, roten Zierband könnte dahinter gerutscht sein. Er fand zwar die Anweisungen für die Zimtsternchen, die Apfelküchlein und die Vanillestangerl, von dem Rezept für die Honigtaler fehlte jedoch jede Spur. Im Hintergrund hörte er bereits, wie sich seine Brüder aus ihren Betten erhoben und sicherlich würden sie gleich hier in der Zwergen-Wohn-Küche erscheinen, um zu frühstücken. „Oh je“, erschrak Wurzele, „das Frühstück habe ich auch ganz vergessen.“ Da stand auch schon Hagebutterich, sein ältester Bruder, in der Tür und schnüffelte in die Luft. „Na nu“, sagte dieser, „ich rieche gar keine Pfannenkuchen und auch keinen Hagebuttentee. Gibt es heute denn kein Frühstück?“ Er sah Wurzele verwundert an. Unser großer Zwerg wurde unter diesem Blick noch kleiner, als er ohnehin schon war. „Nu…nun“, begann er zu stottern. Er schluckte zweimal kräftig, dann brach es aus ihm heraus: „Jemand hat das Rezept für die Honigtaler gestohlen. Ich wollte heute Morgen ganz früh schon den Teig anrühren, aber ich kann das Rezept nirgends finden.“ Inzwischen waren auch die anderen fünf Brüder in der Küche erschienen und sahen sich, als sie von dem Diebstahl hörten, verdutzt an. „Dann lass uns alle gemeinsam nochmal danach suchen“, schlug Hagebutterich vor und die anderen stimmten zu. Sie räumten das Regal mit all seinen Tiegeln und Gefäßen ab, rückten selbst den schweren Küchenschrank zur Seite, suchten unter den Bänken, Stühlen und Tischen. Doch es war nichts zu finden. Lupius, Wurzeles zweitältester Bruder, winkte nach einer Stunde missmutig ab und warf seinem kleinsten Bruder böse Blicke zu. „Ach, großer Zwerg“, sagte er spöttisch, „du bist für das Aufbewahren der Zwergenrezepte zuständig. Du hast nicht genügend aufgepasst und jetzt ist das schönste Plätzchenrezept weg.“ Er schüttelte energisch seinen Kopf. „Du bist also doch nicht so ein großer Zwerg, du bist und bleibst Wurzele.“ Wurzeles Lippen begannen zu zittern, so als ob er gleich weinen müsste. „Jetzt mal der Reihe nach“, warf Hagebutterich ein. „Wann hast du denn das Rezept zuletzt gesehen?“, fragte er Wurzele in ruhigem Ton. „Na, vor etwa einem Jahr, als ich das letzte Mal die Honigtaler gemacht habe. Dann habe ich die Pergamentrolle wieder zusammengerollt, das rote Bändchen darum gewickelt und es zu den anderen Rollen auf das Regal gelegt.“ Hagebutterich nickte und rieb sich dabei durch seinen langen weißen Bart. „Lasst uns erst einmal zusammen das Frühstück machen. Mit einem vollen Magen kann ich besser nachdenken.“ Alle zusammen stellten sie nun Pfannkuchen her und gossen den Hagebuttentee auf. Im Handumdrehen stand das komplette Frühstück auf dem Tisch und alle langten kräftig zu. Nur Wurzele war der Appetit vergangen. Er stützte seinen Kopf auf beide Hände und schaute traurig auf den leeren Teller vor sich.
„Wir wollen heute in den Unterwald. Dort waren wir schon so lange nicht mehr und ich denke wir sollten dort der Höhle am Fluss mal wieder einen Besuch abstatten. Vielleicht finden wir wieder eine Edelsteinader“, meinte Hagebutterich. Die anderen stimmten freudig zu, Wurzele jedoch schüttelte den Kopf: „Ich bleibe hier. Ich suche alles nochmal ganz gründlich ab.“ Lupius grinste ihn hämisch an. Alle erhoben sich und verließen den Zwergenbau. Wurzele war ein wenig von Hagebutterich enttäuscht, hatte dieser doch gemeint, mit einem vollen Bauch würde ihm etwas einfallen. Natürlich glaubte Wurzele, dass es dabei um das Auffinden der Rezeptrolle ging und nicht um die Planung des heutigen Arbeitseinsatzes. Nachdenklich räumte er das Geschirr zusammen und machte sich an den Abwasch. Seine Gedanken flogen zurück zu dem Novembertag vor einem Jahr, als er das letzte Mal das Rezept für die Honigtaler in der Hand gehalten hatte. So sehr er sich aber auch bemühte, die Vorkommnisse in seinem Kopf zu wiederholen, es fiel ihm nichts Außergewöhnliches ein. Als Wurzele die Küche aufgeräumt hatte zog er seine Winterjacke an und begab sich vor die Baumhöhle, die das Zuhause der Zwergenbrüder war. Er wollte ein wenig durch die frische Luft spazieren, vielleicht fiel ihm dabei die Lösung des Problems ein. Kaum war er um den Stamm der alten Eiche herumgegangen, hörte er ein Krächzen und Flügelschlagen. Schnell verkroch sich Wurzele hinter einem herabgefallenen Zweig und beobachtete, wie sich Robrax, der Rabe von Hexe Drusila dem Zwergenbau näherte. Vorsichtig sah sich der schwarze Vogel nach links und rechts um, dann schlich er in die Zwergenhöhle. Ganz leise und ohne das geringste Geräusch zu machen, folgte ihm Wurzele. „Oh, Hexenkrächz“, hörte Wurzele Robrax von weitem schon murren, „wie mich Drusila doch nervt. Letztes Jahr sollte ich ihr unbedingt das Rezept für die Honigtaler besorgen, in diesem Jahr sollen es die Apfelküchlein sein. Vielleicht sollte ich gleich alle Zwergenrezepte mitnehmen, damit sie endlich Ruhe gibt.“ Wurzele schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. Dahin war also das Rezept verschwunden. Was sollte er nun tun? Die Hexe Drusila galt als böse und arglistig und Wurzele würde sich nie trauen, einfach in ihr Haus zu gehen und das Honigtaler-Rezept zurückzufordern. Robrax kletterte bereits auf das Regal und wühlte mit seinem Schnabel zwischen den Pergamentrollen. Wurzele drückte sich ganz eng an die Wand und sah dem Vogel bei seiner Tat zu. Plötzlich hatte der Zwerg die rettende Idee. Wurzele nahm seine Sommerjacke vom Haken an der Garderobe, an der er gerade stand, und stürzte Robrax entgegen. Dieser erschrak sich so, dass er aus dem Regal fiel, direkt in die Jacke, die Wurzele in seinen ausgebreiteten Händen darunter hielt. Schnell verschnürte der Zwerg die Jacke mit dem Vogel zu einem Paket und zog den Raben in die Mitte der Küche. „So, so“, sagte Wurzele, „du und deine feine Drusila, ihr seid also die Übeltäter. Ihr wolltet unser Weihnachtsfest kaputtmachen.“ Zuerst zappelte Robrax wie wild in seinem Gefängnis, doch schon bald ließen seine Kräfte nach und er begann zu wimmern. „Ach bitte, bitte, lass mich frei. Die Hexe wird mich fürchterlich bestrafen. Schon einmal hat sie mich für einen Monat lang in einen Goldfisch verwandelt und ich kann dir sagen, das ist wirklich kein Vergnügen.“ Wurzele legte nachdenklich seine Stirn in Falten, da sah er wie sich die beiden Krallen von Robrax durch die Jacke bohrten. Schnell nahm der Zwerg eine Rolle mit Zwirn, die er in der Küche sonst für die Zubereitung von Weinblätterrouladen benötigte und wickelte die Beine von Robrax zusammen. „Was machst du da?“, krächzte Robrax empört. Wurzele lachte vor sich hin. „Wir beide holen jetzt das Rezept für die Honigtaler zurück.“ Er löste den Knoten aus der Jacke und der Rabe kam zitternd und mit wackeligen Beinen zum Stehen. „Oh nein, oh nein“, jammerte Robrax. „Oh ja, oh ja“, entgegnete Wurzele. Als sie die Zwergenhöhle verlassen hatten, versuchte Robrax zu entkommen, in dem er seine Flügel ausbereitete und sich in die Luft erheben wollte, doch Wurzele hielt den Zwirn, mit dem die Beine des Vogels gefesselt waren, fest in beiden Händen. Der Rabe sah
schließlich ein, dass ein Fluchtversuch sinnlos war und flatterte missmutig Richtung Hexenhaus. Kurz bevor die beiden es erreicht hatten versteckten sie sich im Unterholz und spähten aus, ob Drusila zu Hause war. „Die Luft scheint rein zu sein“, bemerkte schließlich Robrax, „sie wollte heute ihre Schwester besuchen und ist wohl noch nicht zurück.“ Wurzele nickte bedächtig und langsam und vorsichtig näherten sie sich dem Hexenhaus. „So“, meinte der Zwerg, „ich bleibe hier vor der Tür stehen, halte deine Fesseln fest und du gehst ins Haus und holst das Rezept, verstanden?“ Robrax ließ den Kopf sinken und flüsterte fast unhörbar: „Hoffentlich kann mich dabei kein anderer sehen. Mein Ruf wäre dahin.“ „Na ja“, lachte Wurzele, „bei mir ist dein Ruf eh schon hin.“ Gesenkten Hauptes betrat der Rabe das Hexenhaus und Wurzele ließ so viel Zwirn von der Rolle nach, bis der Faden sich wieder anspannte und er neue Schnur nachgeben musste. Auf einmal spürte er nur ein kurzes Rucken, dann bemerkte er wie der Zwirn in seinen Händen zu Boden glitt. „Oh nein“, durchfuhr es Wurzele, „Robrax hat sich befreit.“ Ganz vorsichtig und mit leicht zitternden Knien begab sich unser ‚großer Zwerg‘ in das Hexenhaus hinein. Sofort bemerkte er die eigenartigen Gerüche, die dort herrschten. Ängstlich schaute er nach links und rechts und ging langsam geradeaus. Da hatte er auch schon die Hexenküche erreicht. Ein sehr großer Kessel stand in der Mitte des Raumes unter dem ein kleines Feuer brannte. Ringsumher hingen Kräuterbündel und getrocknete Tierkadaver von der Decke. Wurzele bekam einen mächtigen Schreck, als Robrax plötzlich unter einem Tisch hervorstürzte und auf den Zwerg losstürmte. „So jetzt bin ich der Stärkere. Drusila wird sich über deinen Besuch freuen. Ich werde dich da oben in den Vogelkäfig stecken.“ Der Rabe deutete mit dem Schnabel auf einen großen Vogelbauer, der direkt neben dem Kessel von der Decke hing. Wurzele hatte sich bei dem Angriff von Robrax so erschrocken, dass er gegen den Kessel prallte und die darin gluckernde Flüssigkeit verspritzt wurde. Ihn traf zum Glück kein einziger Tropfen, doch der Rabe zuckte plötzlich zusammen. „Oh nein, das nicht“, flehte er. Aber es war bereits zu spät. Er verwandelte sich zuerst in eine Dampfwolke und als sich diese lichtete stand Robrax mit rosa, lila und grün gefärbten Federn vor ihm. Wurzele war zuerst verblüfft, doch dann brach er in schallendes Gelächter aus und zeigte immer wieder mit dem Finger auf den gefärbten Vogel. „Robrax, der Papagei“, prustete er laut und musste sich bald vor Lachen den Bauch halten. „Und jetzt gib mir das Rezept für die Honigtaler“, forderte er und streckte die Hand aus. „Das wird Ärger geben, wenn Drusila nach Hause kommt“, jammerte Robrax vor sich hin. Er deutete mit dem Schnabel auf eine Kommode und sagte dabei: „Da drin sind die Rezepte.“ Wurzele ließ den Raben nicht aus den Augen als er das Schränkchen öffnete. Und wirklich, hier drin lagen fein säuberlich aneinander gereiht Rezeptrollen über Rezeptrollen. Die Honigtaler fand Wurzele auf Grund der roten Schleife sofort und klemmte sie sich unter den Arm. Doch dann griff er nochmals wahllos zu und schnappte sich so viele Pergamentrollen wie er tragen konnte. Robrax saß beschämt in einer Ecke, versuchte sein Gefieder zu ordnen mit dessen neuer Farbe er ganz und gar nicht einverstanden war und Wurzele verließ frohen Mutes das Hexenhaus. Nur wenig später war der Zwerg in der Zwergen-Wohn-Küche angelangt und breitete seine „Schätze“ vor sich aus. Als er sämtliche Rezepte gesichtet hatte, war sich Wurzele sicher, dieses Weihnachten würde das schönste von allen Weihnachten werden. Der Heilige Abend kam. Der kleine Baum in der Küche war mit Zimtsternchen, Kerzen und Edelsteinen geschmückt. Aus dem Ofen krochen Düfte nach einem Wacholderbraten und auf dem Tisch standen all die leckeren Plätzchen bereit, die zu keinem Weihnachtsfest fehlen durften. Natürlich auch die Honigtaler.
Als die Zwerge das erste Käuzchen rufen hörten setzten sich alle an den großen Tisch und erzählten sich die Abenteuer aus den letzten vergangen Monaten. Bald schon brachte Wurzele das Weihnachtsmahl herbei und alle ließen es sich gut gehen. „Das war das beste Weihnachtsessen, das wir jemals hatten.“ Hagebutterich klopfte Wurzele anerkennend auf die Schulter. „Du bist jetzt nicht mehr der große Zwerg.“ Wurzele zuckte unmerklich zusammen, doch dann sah er das Lächeln im Gesicht seines Bruders. „Du bist jetzt der riesengroße Zwerg.“ Alle lachten und klatschten und ließen Wurzele hochleben, nur Lupius hielt sich mit seinem Beifall zurück. Doch dann befiel auch ihn die schöne, festliche Stimmung und im ganzen Märchenreich beneidete man die Zwerge, die so ein harmonisches und glückliches Fest feiern konnten.
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Window nº 1
1-12-2021
1
Von Galax Acheronian kommt ein Ausmalbild aus folgendem Buch https://www.moko-verlag.de/schuette,-johannes--die-abenteuer-des-julius-grosztat.php
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2-12-2021
2
Wurzele der große Zwerg und das verschwundene Rezept
von Markus Kohler

Wurzele war verzweifelt. Mit den Händen auf dem Rücken verschränkt und gesenktem Haupt lief er in der Zwergenküche auf und ab. „Jetzt wird es mit meinem Beinamen ‚der große Zwerg‘ wohl vorbei sein“, dachte er traurig. Wurzele bekam diesen Zweitnamen, weil er einem Riesen, der im Märchenland schon fast jeden bestohlen hatte, einen Teil seiner Diebesbeute abgeluchst hatte. Aber das ist eine andere Geschichte. Schon am frühen Morgen war Wurzele, noch bevor die anderen Zwerge aufgestanden waren, in die Küche geeilt, weil er den Teig für die ersten Weihnachtsplätzchen herstellen wollte. In fünf Wochen sollte das Weihnachtsfest gefeiert werden und seine Brüder, die anderen Zwerge, freuten sich wie im jeden Jahr auf die berühmten Honigtaler, die Wurzele so gekonnt zubereiten konnte. Als Wurzele jedoch das Regal durchsuchte auf dem er alle Zwergenrezepte aufbewahrte, konnte er die Pergamentrolle mit den Zutaten für die Honigtaler nicht finden. Er räumte alle Gefäße ab, weil er vermutete, die Rolle mit dem hübschen, roten Zierband könnte dahinter gerutscht sein. Er fand zwar die Anweisungen für die Zimtsternchen, die Apfelküchlein und die Vanillestangerl, von dem Rezept für die Honigtaler fehlte jedoch jede Spur. Im Hintergrund hörte er bereits, wie sich seine Brüder aus ihren Betten erhoben und sicherlich würden sie gleich hier in der Zwergen-Wohn-Küche erscheinen, um zu frühstücken. „Oh je“, erschrak Wurzele, „das Frühstück habe ich auch ganz vergessen.“ Da stand auch schon Hagebutterich, sein ältester Bruder, in der Tür und schnüffelte in die Luft. „Na nu“, sagte dieser, „ich rieche gar keine Pfannenkuchen und auch keinen Hagebuttentee. Gibt es heute denn kein Frühstück?“ Er sah Wurzele verwundert an. Unser großer Zwerg wurde unter diesem Blick noch kleiner, als er ohnehin schon war. „Nu…nun“, begann er zu stottern. Er schluckte zweimal kräftig, dann brach es aus ihm heraus: „Jemand hat das Rezept für die Honigtaler gestohlen. Ich wollte heute Morgen ganz früh schon den Teig anrühren, aber ich kann das Rezept nirgends finden.“ Inzwischen waren auch die anderen fünf Brüder in der Küche erschienen und sahen sich, als sie von dem Diebstahl hörten, verdutzt an. „Dann lass uns alle gemeinsam nochmal danach suchen“, schlug Hagebutterich vor und die anderen stimmten zu. Sie räumten das Regal mit all seinen Tiegeln und Gefäßen ab, rückten selbst den schweren Küchenschrank zur Seite, suchten unter den Bänken, Stühlen und Tischen. Doch es war nichts zu finden. Lupius, Wurzeles zweitältester Bruder, winkte nach einer Stunde missmutig ab und warf seinem kleinsten Bruder böse Blicke zu. „Ach, großer Zwerg“, sagte er spöttisch, „du bist für das Aufbewahren der Zwergenrezepte zuständig. Du hast nicht genügend aufgepasst und jetzt ist das schönste Plätzchenrezept weg.“ Er schüttelte energisch seinen Kopf. „Du bist also doch nicht so ein großer Zwerg, du bist und bleibst Wurzele.“ Wurzeles Lippen begannen zu zittern, so als ob er gleich weinen müsste. „Jetzt mal der Reihe nach“, warf Hagebutterich ein. „Wann hast du denn das Rezept zuletzt gesehen?“, fragte er Wurzele in ruhigem Ton. „Na, vor etwa einem Jahr, als ich das letzte Mal die Honigtaler gemacht habe. Dann habe ich die Pergamentrolle wieder zusammengerollt, das rote Bändchen darum gewickelt und es zu den anderen Rollen auf das Regal gelegt.“ Hagebutterich nickte und rieb sich dabei durch seinen langen weißen Bart. „Lasst uns erst einmal zusammen das Frühstück machen. Mit einem vollen Magen kann ich besser nachdenken.“ Alle zusammen stellten sie nun Pfannkuchen her und gossen den Hagebuttentee auf. Im Handumdrehen stand das komplette Frühstück auf dem Tisch und alle langten kräftig zu. Nur Wurzele war der Appetit vergangen. Er stützte seinen Kopf auf beide Hände und schaute traurig auf den leeren Teller vor sich.
„Wir wollen heute in den Unterwald. Dort waren wir schon so lange nicht mehr und ich denke wir sollten dort der Höhle am Fluss mal wieder einen Besuch abstatten. Vielleicht finden wir wieder eine Edelsteinader“, meinte Hagebutterich. Die anderen stimmten freudig zu, Wurzele jedoch schüttelte den Kopf: „Ich bleibe hier. Ich suche alles nochmal ganz gründlich ab.“ Lupius grinste ihn hämisch an. Alle erhoben sich und verließen den Zwergenbau. Wurzele war ein wenig von Hagebutterich enttäuscht, hatte dieser doch gemeint, mit einem vollen Bauch würde ihm etwas einfallen. Natürlich glaubte Wurzele, dass es dabei um das Auffinden der Rezeptrolle ging und nicht um die Planung des heutigen Arbeitseinsatzes. Nachdenklich räumte er das Geschirr zusammen und machte sich an den Abwasch. Seine Gedanken flogen zurück zu dem Novembertag vor einem Jahr, als er das letzte Mal das Rezept für die Honigtaler in der Hand gehalten hatte. So sehr er sich aber auch bemühte, die Vorkommnisse in seinem Kopf zu wiederholen, es fiel ihm nichts Außergewöhnliches ein. Als Wurzele die Küche aufgeräumt hatte zog er seine Winterjacke an und begab sich vor die Baumhöhle, die das Zuhause der Zwergenbrüder war. Er wollte ein wenig durch die frische Luft spazieren, vielleicht fiel ihm dabei die Lösung des Problems ein. Kaum war er um den Stamm der alten Eiche herumgegangen, hörte er ein Krächzen und Flügelschlagen. Schnell verkroch sich Wurzele hinter einem herabgefallenen Zweig und beobachtete, wie sich Robrax, der Rabe von Hexe Drusila dem Zwergenbau näherte. Vorsichtig sah sich der schwarze Vogel nach links und rechts um, dann schlich er in die Zwergenhöhle. Ganz leise und ohne das geringste Geräusch zu machen, folgte ihm Wurzele. „Oh, Hexenkrächz“, hörte Wurzele Robrax von weitem schon murren, „wie mich Drusila doch nervt. Letztes Jahr sollte ich ihr unbedingt das Rezept für die Honigtaler besorgen, in diesem Jahr sollen es die Apfelküchlein sein. Vielleicht sollte ich gleich alle Zwergenrezepte mitnehmen, damit sie endlich Ruhe gibt.“ Wurzele schlug sich erschrocken die Hand vor den Mund. Dahin war also das Rezept verschwunden. Was sollte er nun tun? Die Hexe Drusila galt als böse und arglistig und Wurzele würde sich nie trauen, einfach in ihr Haus zu gehen und das Honigtaler-Rezept zurückzufordern. Robrax kletterte bereits auf das Regal und wühlte mit seinem Schnabel zwischen den Pergamentrollen. Wurzele drückte sich ganz eng an die Wand und sah dem Vogel bei seiner Tat zu. Plötzlich hatte der Zwerg die rettende Idee. Wurzele nahm seine Sommerjacke vom Haken an der Garderobe, an der er gerade stand, und stürzte Robrax entgegen. Dieser erschrak sich so, dass er aus dem Regal fiel, direkt in die Jacke, die Wurzele in seinen ausgebreiteten Händen darunter hielt. Schnell verschnürte der Zwerg die Jacke mit dem Vogel zu einem Paket und zog den Raben in die Mitte der Küche. „So, so“, sagte Wurzele, „du und deine feine Drusila, ihr seid also die Übeltäter. Ihr wolltet unser Weihnachtsfest kaputtmachen.“ Zuerst zappelte Robrax wie wild in seinem Gefängnis, doch schon bald ließen seine Kräfte nach und er begann zu wimmern. „Ach bitte, bitte, lass mich frei. Die Hexe wird mich fürchterlich bestrafen. Schon einmal hat sie mich für einen Monat lang in einen Goldfisch verwandelt und ich kann dir sagen, das ist wirklich kein Vergnügen.“ Wurzele legte nachdenklich seine Stirn in Falten, da sah er wie sich die beiden Krallen von Robrax durch die Jacke bohrten. Schnell nahm der Zwerg eine Rolle mit Zwirn, die er in der Küche sonst für die Zubereitung von Weinblätterrouladen benötigte und wickelte die Beine von Robrax zusammen. „Was machst du da?“, krächzte Robrax empört. Wurzele lachte vor sich hin. „Wir beide holen jetzt das Rezept für die Honigtaler zurück.“ Er löste den Knoten aus der Jacke und der Rabe kam zitternd und mit wackeligen Beinen zum Stehen. „Oh nein, oh nein“, jammerte Robrax. „Oh ja, oh ja“, entgegnete Wurzele. Als sie die Zwergenhöhle verlassen hatten, versuchte Robrax zu entkommen, in dem er seine Flügel ausbereitete und sich in die Luft erheben wollte, doch Wurzele hielt den Zwirn, mit dem die Beine des Vogels gefesselt waren, fest in beiden Händen. Der Rabe sah
schließlich ein, dass ein Fluchtversuch sinnlos war und flatterte missmutig Richtung Hexenhaus. Kurz bevor die beiden es erreicht hatten versteckten sie sich im Unterholz und spähten aus, ob Drusila zu Hause war. „Die Luft scheint rein zu sein“, bemerkte schließlich Robrax, „sie wollte heute ihre Schwester besuchen und ist wohl noch nicht zurück.“ Wurzele nickte bedächtig und langsam und vorsichtig näherten sie sich dem Hexenhaus. „So“, meinte der Zwerg, „ich bleibe hier vor der Tür stehen, halte deine Fesseln fest und du gehst ins Haus und holst das Rezept, verstanden?“ Robrax ließ den Kopf sinken und flüsterte fast unhörbar: „Hoffentlich kann mich dabei kein anderer sehen. Mein Ruf wäre dahin.“ „Na ja“, lachte Wurzele, „bei mir ist dein Ruf eh schon hin.“ Gesenkten Hauptes betrat der Rabe das Hexenhaus und Wurzele ließ so viel Zwirn von der Rolle nach, bis der Faden sich wieder anspannte und er neue Schnur nachgeben musste. Auf einmal spürte er nur ein kurzes Rucken, dann bemerkte er wie der Zwirn in seinen Händen zu Boden glitt. „Oh nein“, durchfuhr es Wurzele, „Robrax hat sich befreit.“ Ganz vorsichtig und mit leicht zitternden Knien begab sich unser ‚großer Zwerg‘ in das Hexenhaus hinein. Sofort bemerkte er die eigenartigen Gerüche, die dort herrschten. Ängstlich schaute er nach links und rechts und ging langsam geradeaus. Da hatte er auch schon die Hexenküche erreicht. Ein sehr großer Kessel stand in der Mitte des Raumes unter dem ein kleines Feuer brannte. Ringsumher hingen Kräuterbündel und getrocknete Tierkadaver von der Decke. Wurzele bekam einen mächtigen Schreck, als Robrax plötzlich unter einem Tisch hervorstürzte und auf den Zwerg losstürmte. „So jetzt bin ich der Stärkere. Drusila wird sich über deinen Besuch freuen. Ich werde dich da oben in den Vogelkäfig stecken.“ Der Rabe deutete mit dem Schnabel auf einen großen Vogelbauer, der direkt neben dem Kessel von der Decke hing. Wurzele hatte sich bei dem Angriff von Robrax so erschrocken, dass er gegen den Kessel prallte und die darin gluckernde Flüssigkeit verspritzt wurde. Ihn traf zum Glück kein einziger Tropfen, doch der Rabe zuckte plötzlich zusammen. „Oh nein, das nicht“, flehte er. Aber es war bereits zu spät. Er verwandelte sich zuerst in eine Dampfwolke und als sich diese lichtete stand Robrax mit rosa, lila und grün gefärbten Federn vor ihm. Wurzele war zuerst verblüfft, doch dann brach er in schallendes Gelächter aus und zeigte immer wieder mit dem Finger auf den gefärbten Vogel. „Robrax, der Papagei“, prustete er laut und musste sich bald vor Lachen den Bauch halten. „Und jetzt gib mir das Rezept für die Honigtaler“, forderte er und streckte die Hand aus. „Das wird Ärger geben, wenn Drusila nach Hause kommt“, jammerte Robrax vor sich hin. Er deutete mit dem Schnabel auf eine Kommode und sagte dabei: „Da drin sind die Rezepte.“ Wurzele ließ den Raben nicht aus den Augen als er das Schränkchen öffnete. Und wirklich, hier drin lagen fein säuberlich aneinander gereiht Rezeptrollen über Rezeptrollen. Die Honigtaler fand Wurzele auf Grund der roten Schleife sofort und klemmte sie sich unter den Arm. Doch dann griff er nochmals wahllos zu und schnappte sich so viele Pergamentrollen wie er tragen konnte. Robrax saß beschämt in einer Ecke, versuchte sein Gefieder zu ordnen mit dessen neuer Farbe er ganz und gar nicht einverstanden war und Wurzele verließ frohen Mutes das Hexenhaus. Nur wenig später war der Zwerg in der Zwergen-Wohn-Küche angelangt und breitete seine „Schätze“ vor sich aus. Als er sämtliche Rezepte gesichtet hatte, war sich Wurzele sicher, dieses Weihnachten würde das schönste von allen Weihnachten werden. Der Heilige Abend kam. Der kleine Baum in der Küche war mit Zimtsternchen, Kerzen und Edelsteinen geschmückt. Aus dem Ofen krochen Düfte nach einem Wacholderbraten und auf dem Tisch standen all die leckeren Plätzchen bereit, die zu keinem Weihnachtsfest fehlen durften. Natürlich auch die Honigtaler.
Als die Zwerge das erste Käuzchen rufen hörten setzten sich alle an den großen Tisch und erzählten sich die Abenteuer aus den letzten vergangen Monaten. Bald schon brachte Wurzele das Weihnachtsmahl herbei und alle ließen es sich gut gehen. „Das war das beste Weihnachtsessen, das wir jemals hatten.“ Hagebutterich klopfte Wurzele anerkennend auf die Schulter. „Du bist jetzt nicht mehr der große Zwerg.“ Wurzele zuckte unmerklich zusammen, doch dann sah er das Lächeln im Gesicht seines Bruders. „Du bist jetzt der riesengroße Zwerg.“ Alle lachten und klatschten und ließen Wurzele hochleben, nur Lupius hielt sich mit seinem Beifall zurück. Doch dann befiel auch ihn die schöne, festliche Stimmung und im ganzen Märchenreich beneidete man die Zwerge, die so ein harmonisches und glückliches Fest feiern konnten.

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