FenĂȘtre 22
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Herbergssuche
âIch verbiete es dir! Du wirst bei so einem Krippenspiel nicht mehr mitmachen. Und Schluss!â Der GroĂvater der kleinen Faten ist auĂer sich. Auf diese Reaktion war die sie nicht vorbereitet. Sie begann zu weinen. Drei Jahre zuvor war die SiebenjĂ€hrige mit ihrer Familie von PalĂ€stina, genauer gesagt von Bethlehem, nach Deutschland gekommen. Der Anfang war hart. Und nun, endlich, durfte Faten mal mitspielen. âDu wĂŒrdest eine gute Maria abgeben!â meinte der Pfarrer. Und so war es auch. Die Gottesdienstbesucher in der kleinen katholischen Kirche in Köln waren gerĂŒhrt von der âMaria aus Bethlehemâ. Zwei Tage nach dem Krippenspiel fuhr die Familie zum Weihnachtsurlaub in ihre Heimat nach PalĂ€stina. Faten erzĂ€hlte stolz von ihrem Auftritt bei dem Krippenspiel. Aber der GroĂvater war entsetzt!
Der Grund des Ărgernisses war keineswegs die Mitwirkung des palĂ€stinensischen Kindes in einem christlichen Gottesdienst. Wie die meisten Bewohner Bethlehems war und ist auch die Familie von Faten christlich. Grund fĂŒr das Ărgernis war die Szene der Herbergssuche. âNie hĂ€tte einer von uns jemanden an der TĂŒre weggeschickt. Schon gar nicht eine schwangere Frau. Da ist immer Platz!â Der GroĂvater fĂŒhlte die Ehre seines Volkes beschmutzt. Daher das strikte Verbot. Integration mĂŒsse auch Grenzen haben.
Seit Jahren werden Krippenspiele einstudiert und aufgefĂŒhrt. Die Herbergssuche darf nie fehlen. Doch Krippenspiele sind eine deutsche bzw. österreichische âErfindungâ und lassen keineswegs in jedem Land am 24.12. die Herzen tausender Gottesdienstbesucher höherschlagen. Und ein arabisches Volk fĂŒhlt sich in seiner Ehre verletzt!
Bekanntlich lesen wir in der Bibel nichts von Wirten, die Josef und Maria weggeschickt haben, weil ihre Herberge voll gewesen wĂ€re. Man meinte aber, es gĂ€be verschlĂŒsselte Hinweise fĂŒr die vergebliche Herbergssuche. In Lukas 2 Vers 7 lesen wir: âUnd sie gebar ihren ersten Sohn und wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Krippe; denn sie hatten sonst keinen Platz in der Herberge.â Wenn Maria ihren Sohn in eine Krippe legen musste, bedeutet es doch: Die Geburt fand bei Tieren in einem Stall statt. Warum in einem Stall? Weil kein Platz in den GasthĂ€usern war. Wirtsleute mĂŒssten das Heilige Paar also weggeschickt haben.
Dass diese Schlussfolgerung grundlegend verkehrt ist, wird durch ein Video eines amerikanischen Bibelforschers und ArchÀologen deutlich:
Er zeigte HĂ€user, in denen die Menschen zurzeit Jesu in der Gegend um Bethlehem wohl gelebt haben. âMensch und Tier lebten in einem Haus zusammen. Es gab keine extra StĂ€lle, wie es bei uns ĂŒblich war und ist. In jedem Wohnhaus gab es eine Futterstelle fĂŒr Tiere. Und so legte Maria ihr Kind in die Futterstelle der Tiere. Das war nichts AuĂergewöhnliches.â
Wenn die Hirten bei ihrer Ankunft einen stinkenden Stall, eine verĂ€ngstigte junge Mutter und einen verzweifelten Josef erlebt hĂ€tten, wĂ€re ihre sofortige Reaktion gewesen: Das ist eine Schande! Kommt mit uns, damit unsere Frauen euch versorgen können!â Die Hirten hĂ€tten die kleine Familie zu ihren eigenen HĂ€user gebracht. Dass sie die Unterkunft verlieĂen, ohne die junge Familie woanders einzuquartieren, bedeutet, dass die Hirten ihr keine bessere Gastfreundschaft bieten konnten, als sie sie bereits erlebte, so der Bibelforscher.
Das MissverstĂ€ndnis ist wohl auf eine Ăbersetzungsunsicherheit zurĂŒckzufĂŒhren: Luther ĂŒbersetzte das griechische Wort kataluma mit âHerbergeâ. Zutreffenderer wĂ€re womöglich aber âGĂ€stezimmerâ. Im GĂ€stezimmer war kein Platz, daher musste Maria ihr Kind im Hauptwohnraum, in dem auch die Gastgeberfamilie schlief, auf die Welt bringen, wie vor ihr schon viele Generationen. SelbstverstĂ€ndlich war in diesem Raum auch eine Futterkrippe. In diese legte sie das neugeborene Kind.
Wenn das so gewesen wĂ€re, gĂ€be es aber keine Hinweise auf die erfolglose Herbergssuche. Dann mĂŒssten die Krippenspiele neu geschrieben werden: âKein Mangel an Gastfreundschaft bzw. keine Unfreundlichkeit wird angedeutet, wenn die heilige Familie im Aufenthaltsraum des Hauses beherbergt wird. Das GĂ€stezimmer (kataluma) ist besetzt und vom Gastgeber wird nicht erwartet, dass er seine bereits aufgenommenen GĂ€ste zum Auszug auffordert. Das wĂ€re undenkbar und auch nicht notwendig. Der groĂe familiĂ€re Aufenthaltsraum reicht voll aus.
Wer in der FlĂŒchtlingshilfe tĂ€tig ist, erfĂ€hrt: So unterschiedlich die Schicksale und Persönlichkeiten der Menschen aus Afghanistan, Pakistan, Syrien und PalĂ€stina sind: Die Gastfreundschaft wird bei allen ĂŒberaus groĂgeschrieben. Kein Besuch, ohne dass einem zumindest eine Tasse Tee angeboten wird. Und ĂŒberall die EnttĂ€uschung in den Augen, wenn man sagen muss: âTut mir leid, ich habe keine Zeit. Das nĂ€chste Mal vielleicht.â Besucher, oft unangemeldete, werden ĂŒber Nacht in der FlĂŒchtlingsunterkunft aufgenommen, auch wenn das die Hausordnung eindeutig verbietet. Viele nehmen 25 Euro StrafgebĂŒhr fĂŒr die Zulassung von âFremdschlĂ€fernâ in Kauf. âWegschicken geht in unserer Kultur gar nicht. Wenn es sich im Landkreis rumsprechen wĂŒrde, ich hĂ€tte der Hausordnung gemĂ€Ă, einen Landsmann um 22 Uhr vor die TĂŒre gesetzt, könnte ich mich bei den Afghanen nicht mehr blicken lassenâ, so ein junger Mann aus Kabul. In Bethlehem wird das vor 2000 Jahren nicht anders gewesen sein. Eine schwangere Frau wegschicken, das ging gar nicht.
MĂŒssen aus historischen, kulturellen und theologischen GrĂŒnden die Krippenspiele umgeschrieben werden und zumindest von der Szene der âHerbergssucheâ gereinigt werden? Nein. Nicht unbedingt. Wenn man das Krippenspiel nicht historisch sieht, sondern als anschauliche Predigt, die uns trĂ€ge gewordenen Christen aufrĂŒtteln soll, haben sie in unserem Kulturraum ihre Berechtigung. In unserer Kultur ist es tatsĂ€chlich denkbar, dass Schwangere weggeschickt werden und TĂŒren nicht geöffnet werden, und dies selbst dann, wenn eigentlich genug Platz im GĂ€stezimmer wĂ€re.
Krippenspiele haben nach heutiger Erkenntnis keinen groĂen historischen Wahrheitsgehalt. Und doch transportieren sie eine fĂŒr unseren Kulturkreis ĂŒberaus wichtige, christliche Botschaft, ja, einen christlichen Appell: Ăffnet eure Herzen und HĂ€user. Gott will bei euch einziehen. Er kommt manchmal in unerwarteten Gestalten. In Bethlehem, zur Zeitenwende, kam er als Baby von Josef und Maria. Heutzutage kommt er womöglich als FlĂŒchtling oder als bedĂŒrftige deutsche Frau mit drei kleinen Kindern! Auch in Zukunft können wir auf die Krippenspiele wohl nicht verzichten. Zumindest nicht in unserem Kulturkreis.
2019 Fenster und Text bei Familie Thomas
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